Fallbeispiel

Wilhelm Fuchs
Roonstraße 16 in Heidelberg
21. Januar 1945
Am 8. Februar 1945

Für den weiteren Umgang mit Wilhelm Fuchs, der nun im Gefängnis in Heidelberg einsaß, gab es verschiedene Optionen: Man hätte die Zuchthausstrafe vollstrecken können, deren Antritt er sich knapp zwei Jahre zuvor durch Flucht entzogen hatte, und ihn dann zu gegebener Zeit zusätzlich für die Eigentumsdelikte, die er sich seitdem hatte zuschulden kommen lassen, zur Rechenschaft ziehen können; auch wäre es möglich gewesen, ihn erneut der Kriegsgerichtsbarkeit zu übergeben. Das Sondergericht in Mannheim hatte jedoch andere Pläne mit ihm und zog den Fall an sich: Der Oberstaatsanwalt stellte eilig eine Anklageschrift zusammen, in der Fuchs wegen mehrfachen Diebstahls zu einem gefährlichen Gewohnheitsverbrecher deklariert wurde und zu einem Volksschädling, da er sich bei seinen Straftaten die durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse zunutze gemacht hatte – dies lief fast zwangsläufig auf die Todesstrafe hinaus. Fuchs war geständig und versuchte, bei den Vernehmungen deutlich zu machen, dass er nicht aus Habgier, sondern nur zum eigenen Überleben gehandelt habe: Die bei seinen Habseligkeiten gefundene Pistole habe er bei seinen Einbrüchen nur mit sich geführt, um schlimmstenfalls mit ihr zu drohen, wenn ich überrascht worden wäre.

Kurioses wusste Fuchs von einem Einbruch in einem Keller in der Heidelberger Gaisbergstraße zu berichten: Von dem dort vorgefundenen Bargeld, das sich wohl auf 100.000 Reichsmark summiert haben dürfte, habe er nur 18.000 bis 20.000 RM entwendet und davon rund 5.000 RM an mir vorkommende arme Personen in Heidelberg auf den Strassen verteilt.

wurde in Heidelberg der 32-jährige, aus Freiburg stammende Karosserieblechner Wilhelm Fuchs festgenommen. Er war mehrerer Eigentumsdelikte verdächtig, darunter des Diebstahls von Schmuck aus einem Koffer in einem Luftschutzkeller knapp drei Wochen zuvor – die Geschädigte war die Geographiedozentengattin Ilse Plewe, wohnhaft in der Roonstraße 16 in Neuenheim. Fuchs gestand diesen und andere Diebstähle der Vorwochen, und beim Verhör erhellte sich auch, dass er sich seit 1943 als verurteilter Wehrmachtsdeserteur versteckt hielt. Ein Kriegsgericht in Straßburg hatte ihn im März 1943 wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt, aber kurz darauf zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren begnadigt, da sich die genauen Umstände seiner Desertion nicht hatten klären lassen: Fuchs hatte als vermisst gegolten und bei seiner Ergreifung angegeben, aus feindlicher Kriegsgefangenschaft geflohen und gerade erst nach Deutschland zurückgekehrt zu sein. Die Fähigkeit, aus Gefangenschaft zu entweichen, hatte er nach seiner Verurteilung zweimal demonstriert: zunächst bei der geplanten Überführung vom Militärstraflager Esterwegen ins Zuchthaus Bad Zwischenahn, der er sich entziehen konnte, und erneut nach einer Verhaftung in Pforzheim, wo er ebenfalls wegen Einbrüchen festgesetzt worden war, aber die Flucht ergriff, bevor Anklage erhoben werden konnte. Bei seiner Inhaftierung in Heidelberg wurde folglich auch in der Akte vermerkt: Bei Fuchs handelt es sich um eine Person die nichts unterlässt, um die Freiheit zu erlangen. Es ist deshalb bei ihm die grösste Vorsicht geboten. Die Untersuchungshaftanstalt hier wurde entsprechend verständigt und Fesselung angeordnet.

Vorhanden sind in der Sondergerichtsakte einige sachliche Hinterlassenschaften von Wilhelm Fuchs: ein Messer, verschiedene Mehl-, Brot-, Margarine-, Butter- und Fleischmarken sowie ein Notizbuch, in dem Fuchs unter anderem festgehalten hatte: Mein Leben im Nazistaat. 1939 verheiratet, mit meinem Jungen eine glückl. Ehe. Das war mein ganzer Lebensweg, dafür ich meine volle Schaffenskraft u. Lebensfreude hingab. Im jugendlichen Alter im Fehlbewußtsein voller Folgen hatte ich mich vor 16 Jahren zwar einmal gehen lassen. Älter u. damit verständl. u. vernünftiger wußte ich aber seitdem nur eines, meine Ehre u. Ehe zu wahren. Da kam der Krieg, ich wurde einberufen, ich tat was man Pflicht nannte. Es drängte sich mir jedoch die Überzeugung auf Recht zu tun für dieses Nazitum nicht zu kämpfen. Nicht weil ich mich nicht mit der Heimat verbunden gefühlt hätte, sondern weil ich das polit. Staatsgebilde der N.S.D.A.P. in der Heimat selbst als Feind u. schuldig an diesem Krieg ansah, ich erkannte die Radiopauke u. Druckerschw. die nur von den Interessen ausging den Arbeiter zum Sklaven zu stempeln, kurz, die Großmäuler von Nazis die sich herausnehmen wie Fritzchen in der Schule von 99 seiner Schüler zu sagen, daß er bestimmt Recht u. all die anderen Unrecht hätten. Insbesondere dachte ich an Frau u. Kind, meine Frau hatte bei der Geburt des ersten Kindes eine völlige Lähmung der rechten Beinund Hüftseite erlitten, ich malte mir aus was ihr in ihrem Falle wenn ich im Felde gefallen wäre im N.S. Staat in Aussicht stand. Ich schoss nicht mehr auf mein gegenüber der wie ich Familienvater sein konnte, nein, eine Kuh würde weniger gemolken wegen meiner Familie hatte ich mir eine Desert. ausgedacht bei der ich als gelten mußte, diese ausgeführt u. da ich als vermißt galt ging ich nach Hause um die meinigen zu beruhigen, ich konnte mich da auch verborgen aufhalten. Nach ¾ Jahr wurde ich durch ein Missgeschick verraten u. von der Gestapo verhaftet. Trotzdem ich glaubhaft machen konnte ich sei aus der Gefangenschaft geflüchtet wurde ich zum Tode verurteilt. Durch scheinbaren Erfindungseifer für den Staat vorgebend, also mich kindisch einfältig verstellend wurde ich zu 15 Jr. Zh. begnadigt.

GLAK 507 12390-12393

Literatur: Engehausen, Frank: Tatort Heidelberg. Alltagsgeschichten von Repression und Verfolgung 1933-1945, Frankfurt am Main 2022, S. 338-341.

Die Verteilung ging so vor sich, dass ich Personen von denen ich glaubte, dass sie arm sind auf der Strasse überholte und dabei einige Geldscheine fallen liess, die dann von diesen aufgehoben wurden. Auch in einem von der Gefängniszensur zurückgehaltenen Brief an seine Ehefrau beteuerte Fuchs, niemandem geschadet zu haben, der den Schaden nicht leicht hätte verschmerzen können: Was ich getan habe das hab ich keinem Armen getan sondern wo’s im Überfluß war u. ich weiß bestimmt daß ich in einzelnen Fällen deshalb auch nicht angezeigt wurde. Nun musste Fuchs halt wieder auf Glück hoffen, aber sollte es sein daß ich gehen muß, so weiß, es war alles für Dich und ich sterbe gerne für Dich, vor Gott habe ich mir keine Vorwürfe zu machen. Es gibt heute genug die sich welche vielmehr machen müssen.

Das Sondergericht Mannheim verhandelte den Fall Wilhelm Fuchs unter dem Vorsitz von Oberamtsrat Karl Hahn am 19. März 1945 in Bruchsal. Der Angeklagte war von Heidelberg ins dortige Gefängnis überführt worden, das die weitgehende Zerstörung der Stadt – 80 Prozent der Gebäude – bei einem Bombenangriff am 1. März, also nur zweieinhalb Wochen zuvor, überstanden hatte. Um Fuchs noch vor der unabwendbaren Kriegsniederlage – genau zwei Wochen später nahmen französische Truppen Bruchsal ein – sonderrechtsstaatlich zu Tode zu bringen, musste man improvisieren: Die anwesenden Richter führten das Verhandlungsprotokoll ausnahmsweise selbst, da kein Schriftführer für die Reise nach Bruchsal freigemacht werden konnte, und der Referendar, der den verhinderten Verteidiger des Angeklagten vertrat, musste mangels anderer Anreisemöglichkeiten mit dem Fahrrad von Heidelberg nach Bruchsal kommen. Die Verhandlung selbst barg dann keine Überraschungen: Nach der Gesamtwürdigung seiner Taten ist Fuchs ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher. Die Häufigkeit und der Tatumfang der Verbrechen sowie die Arbeitsweise des Fuchs, der zur Vermeidung von Spuren Handschuhe trug, lassen den durch antisoziale Einstellung ausgebildeten Hang zum schweren Eigentumsverbrechen erkennen. Nach seinem bisherigen Leben wird er mit Sicherheit immer wieder rückfällig werden und die Rechtsordnung in schwerer Weise verletzten. Das Beisichführen einer Schusswaffe unterstreicht seine Gefährlichkeit. Da Fuchs schon mehrfach ausgebrochen war, hielt das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung für nicht ausreichend. Der Schutz der Volksgemeinschaft und das Bedürfnis nach gerechter Sühne erfordern die Ausmerzung dieses gefährlichen Gewohnheitsverbrechers und Volksschädlings. Um Zeit und Ressourcen zu sparen, wurde Wilhelm Fuchs vor Ort hingerichtet: im Steinbruch Bruchsal am 20. März durch Erschießen. Ein Protokoll der Vollstreckung findet sich in der Sondergerichtsakte nicht; auch die sonst üblichen Gnadenakten fehlen dort.