Forschungsgegenstand

Bild: Magazin; Bildunterschrift: Die Akten des Bestandes 507 im Magazin des Generallandesarchivs in Karlsruhe, Copyright: Tim Laubscher

Unser

Forschungsgegenstand

Die wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des EVZ-Projekts konzentriert sich auf die Funktionsmechanismen der NS-Sondergerichtsbarkeit als Teil des nationalsozialistischen Repressionsapparates in Baden, untersucht am Beispiel der Fälle vor den Sondergerichten Mannheim und Freiburg. Die Tätigkeiten des bereits 1933 eingerichteten Sondergerichts Mannheim und des 1940 nachträglich gebildeten Sondergerichts Freiburg sind durch mehr als 12.000 Akten für nahezu 9.000 Fälle gut erschließbar und wurden bereits von einschlägiger Literatur behandelt. Es werden keine Sondergerichte außerhalb Badens oder außerhalb des Untersuchungszeitraums von 1933 und 1945 betrachtet. Außerdem bleiben die ab 1939 sporadisch errichteten Plünderungs- und Militärgerichten unbeachtet, da sie nicht dem Reichsjustizministerium unterstanden und somit eine separate Sondergerichtsbarkeit mit ihren eigenen Spezifika und Kontexten bildeten.

Autorin: Diana Kail

Zu den nationalsozialistischen Sondergerichten liegt mittlerweile umfassende Forschungsliteratur vor. Nahezu jedes Gericht im Deutschen Reich wurde mindestens in einer historischen oder rechtswissenschaftlichen Studie behandelt. Auch die Sondergerichte in den annektierten Gebieten wurden bereits untersucht, wenngleich hier noch Forschungsdesiderate bestehen. Für Baden erschien bereits 1997 die erste Publikation über das Sondergericht Mannheim von Christiane Oehler. Vereinzelt wurden regionalhistorische Artikel und Bücher über spezifische Personengruppen, Tatorte, Deliktsgruppen oder Urteile publiziert. Kürzlich erschien mit der juristischen Dissertation von Maximilian Wunderlich eine neue Untersuchung des Sondergerichts Freiburg. Wunderlich bewertete die Forschungslage der Sondergerichte insgesamt als umfangreich, kritisiert jedoch zurecht die erheblichen Unterschiede in der Methodik und Qualität der bisherigen Studien. Diese Divergenzen erschweren den Vergleich der Ergebnisse von Lokal- und Regionalstudien, wodurch belastbare Aussagen über die Gesamtsituation der NS-Sondergerichtsbarkeit im Deutschen Reich und in einzelnen Regionen bislang nur unzureichend möglich sind.

Eine Gemeinsamkeit der bisherigen Studien ist ihre Konzeption als Institutions- und Rechtsgeschichten. Die Verfahrensakten ermöglichen jedoch nicht nur eine Sicht auf die Rechtsprechungspraxis, sondern gewähren auch Einblicke in das komplexe Netz der politischen Repression und ihrer gesellschaftlichen Dynamik zur Zeit der NS-Herrschaft. In den Beschreibungen und Vernehmungen von Beschuldigten, Angeklagten sowie Anzeigensteller*innen und Zeug*innen durch die Gestapo, Kriminalpolizei und Richter werden Gegenstände und Möglichkeiten der Regimekritik deutlich. Ebenso spiegeln die in den Akten enthaltenen Korrespondenzen und Dokumente den veränderten Berufsalltag von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern im Herrschaftsgefüge des Nationalsozialismus wider. Die Akten schildern zahlreiche Alltags- und Konfliktsituationen innerhalb eines diktatorischen Systems, die in den auf Rechtsinstitutionen und Rechtsprechung fokussierten Arbeiten kaum sichtbar werden. Das EVZ-Projekt „Denunziation – Repression – Verfolgung: Politischer Dissens und Alltagskriminalität vor den nationalsozialistischen Sondergerichten“ hat zum Ziel, das Handeln und die Akteure hinter der Institution der Sondergerichte durch Einzelfälle sichtbar zu machen und so zu neuen Erkenntnisse über den nationalsozialistischen Repressionsapparat in Baden zu gelangen.

Das konkrete Ziel der wissenschaftlichen Arbeit ist die Erstellung und Auswertung eines Samples von digitalisierten Verfahrensakten. Nicht nur die Generierung von neuem Wissen steht im Mittelpunkt, sondern das Zugänglichmachen dieser wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse für die breite Öffentlichkeit. Zusätzlich sollen deshalb in Zusammenarbeit mit Pädagog*innen Tools zur Einordnung der Verfahrensakten und der darin geschilderten Einzelfälle entwickelt werden.

Die Bildung des Samples stellt keine zufällige Auswahl dar, sondern soll hinsichtlich Verfahrensbeginn, Tatort und der verfolgten Straftaten die Bestände des Sondergerichts Mannheim und des Sondergerichts Freiburg widerspiegeln. Zur Ermittlung der Verteilungen dieser Merkmale wurden zwei Stichproben im Umfang von 20 % des Bestands 507 des Generallandesarchivs Karlsruhe sowie aus dem Bestand 47/1 des Staatsarchivs Freiburg erhoben und ausgewertet. Die Auswahl der Fälle orientiert sich an dieser quantitativen Auswertung und an der Forschungsliteratur. Auf diese Weise soll die Verzerrung der Darstellung kontrollierbar und eine möglichst anschlussfähige Auswahl für die Bildungsarbeit sichergestellt werden. In einem zweiten Schritt werden die im Sample zusammengeführten Fälle anhand eines Erhebungsbogens verzeichnet. Nach der Fertigstellung des Samples soll eine zweite Auswertung vorgenommen und mit den Ergebnissen der Stichprobenauswertung und der einschlägigen Literatur verglichen werden. Die so erfolgte Zusammenstellung, Auswertung und Kontextualisierung des Samples wird bei Projektabschluss auf den Webseiten des Projekts und des Generallandesarchivs präsentiert. 

Für die selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit den online zugänglichen Digitalisaten werden in Zusammenarbeit mit dem pädagogischen Team Werkzeuge erstellt. Zusätzliche Literatur- und Medienrecherchen sorgen für die Bereitstellung von kontextualisierenden Informationen in Text-, Audio- und Videoformaten. Die Werkzeuge umfassen das Glossar, das die häufigsten und wichtigsten Schlüsselbegriffe aus den Quellen aufbereitet, der interaktive Methodenbaustein zur Arbeit mit Justizakten auf „LeoBW“ sowie die Arbeits-PDFs in Kombination mit Fallsteckbriefen, die eine schnelle Auswahl und erleichterten Umgang mit den Akten ermöglichen sollen. Am Ende der Projektlaufzeit soll das Sample und das Zusatzmaterial für Schüler*innen, Multiplikator*innen und Interessent*innen online zugänglich sein.

Engehausen, Frank: Tatort Heidelberg. Alltagsgeschichten von Repression und Verfolgung 1933 – 1945, Frankfurt a.M. und New York 2022.

Kalmbach, Peter Lutz: Das System der NS-Sondergerichtsbarkeiten, in: Kritische Justiz 50 (2017), 226–235.

Oehler, Christiane: Die Rechtsprechung des Sondergerichts Mannheim 1933-1945 (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, 25), Berlin 1997.

Wunderlich, Maximilian: Die Rechtsprechung des Sondergerichts Freiburg 1940-1945 (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Abt. B Abhandlung zur Europäischen und Deutschen Rechtsgeschichte, 86), Diss. Berlin 2024.